Der Name und der Avatar des Social-Media Profils als Venus von Boticelli sind etwas zweideutig. Zusammen mit der Einladung zu einer lockeren Runde in einer leicht dekadenten Location in Berlin Mitte sind sie provokant und deuten auf einen skurrilen und zugleich interessanten Abend hin. Ich bin etwas zerrissen – gehen oder nicht – bin aber neugierig, habe einen freien Abend und vor allem mag ich Caro, die das hier initiiert hat.  

Die Austernbar ist schon vom Weiten zu erkennen – an einem schmuddeligen, feuchtkalten Berliner Winterabend, auf einem grauen Bürgersteig inmitten des Großstadtrubels stehen mit perfekt weißen, steif gemangelten Tischdecken und bunt bemalten Porzellantellern gedeckte Tische, die das Straßenbild erleuchten. Ein Hauch Paris in Berlin-Mitte.

Ich bleibe kurz von dem großen Schaufenster stehen, in einem extra für den Anlass ausgesuchten lockeren Look aus Boyfriend-Jeans, schwarzem Feinripp-Unterhemd und meiner heiß geliebten ausgefransten vintage Wolljacke, Boots und natürlich einem langen Wintermantel und einer warmen Wollmütze, zum Schutz vor heftigen Windstößen. Passt, denke ich erleichtert.

Ich schaue in den warmen Raum hinein und sehe einen langen Tisch, genauso schön gedeckt wie diese hier draußen. Obwohl ich gewollt etwas später komme, ist Caro natürlich noch nicht da.
Dafür sitzt an diesem Tisch etwas verloren, aber strategisch in der Mitte platziert, eine blondierte Dame, die meinen Blick fängt und mir daraufhin wild zuwinkt. Na toll, denke ich – bestimmt denkt sie, ich sei die Caro – Caro und ich sehen uns wirklich ähnlich und haben obendrauf noch am gleichen Tag Geburtstag.

Ich gehe hinein und stelle mich kurz vor. Fredericke antwortet auf Englisch, das macht sie im Laufe des Abends noch ein Paar mal und ich frage mich, ob das ihr Habitus ist, oder vielleicht versucht sie,  es mir leichter zu machen…wir klären es noch später am Abend.
Aber bevor ich jetzt drauf reagieren kann, schleicht sich Caro hinter meinem Rücken ein und wir umarmen uns herzlich – seit unserem Treffen in ihrer letzten Wahlheimat Venedig sind schon zwei Jahre vergangen!
Fredericke ist jetzt auch deutlich erleichtert, sie sitzt wohl am richtigen Tisch, und dann doch etwas irritiert, als Caro sie mit – Hey Lisa – begrüßt.
F: Oh nein, nein, ich bin Fredericke!
C: Fredericke! Wirklich? Ja, wir kennen uns ja, oder? Sag mal, woher kennen wir uns überhaupt, ich kenne doch Dein Gesicht – Fredericke W.?
F: Nein, Fredericke G. die Freundin von Lisa, die immer ihre Beiträge likes. Und außerdem sind wir beide auf LinkedIn befreundet. Ich schreibe Reden!
„How bizzar, how bizzar“  – habe ich schon auf der Lippe, sage aber nichts.

Beeindruckender Eichentisch auf alten Maschinenbeinen

In diesem Moment kommt Lisa rein, ich setze mich, um sie in ihrer ganzen Erscheinung zu bewundern. Da ist sie – eine Lady wie aus einem Hollywood-Traum von einem Haus in den Hamptons, hier und heute natürlich im City-Extravaganza-Look! Ein „Hello“ nach links und rechts, an Ihrem Platz neben der Fredericke angekommen, fängt sie an, Schichten von Beige abzulegen: Überzug, Mantel, Kunstpelz, Schal, Jackett. Am Ende kommt eine gold-beigen Bluse zum Vorschein, und eine beige Kopfschleife aus Satin, die von einer übergroßen Brille mit dicken, rechteckigen Kunststoffrahmen im gleichen Ton, ihr schlankes, sympathisches Gesicht umrahmt. Es ist alles stimmig und wirkt nicht gekünstelt und die schönen, großen Ringe an ihren Fingern runden den Look ab. Lisa unterrichtet Mode an der Universität der Künste und ist auch als Personal Stylist unterwegs – das erklärt natürlich Einiges und sagt viel über ihre Persönlichkeit aus. Im Gespräch wird Ihr Einsatz deutlich – man muss einfach in sich gehen und sich entdecken und spüren. Um Schick und interessant auszusehen, braucht man nicht viele Sachen, man muss einfach wissen, wer man ist. Das leuchtet mir ein. Auch ich bekomme unerwartet ein Kompliment für mein heutiges „smart casual“ Outfit und meine Brille. Wow, denke ich wieder – passt! So gewinnt und coacht sie ihre Kunden.

Während des Gesprächs kommen noch weitere interessante und sehr unterschiedliche Frauen dazu. Ruthi lacht und spricht laut und herzlich und bezaubert mit ihrer Haarpracht, der ganze Raum vibriert mit ihrer Aura. Tracy ist elegant und wunderschön wie Grace Kelly, Eli eher introvertiert, wirkt vornehm und sensibel und ein junges Mädchen im Fancy Faux-Fur-Hut und mit Hündchen ihr gegenüber plappert schnell und viel wie ein Wasserfall. Eva schaut mich intensiv an… irgendwie erkennen wir uns und auch wieder nicht. Sie war und ist bis heute Caros beste Freundin. Eva ist ruhig und gelassen, verständnisvoll und gut zu Caro, die mit der zunehmenden Gästeanzahl Runden um den Tisch dreht, um mit jeder Frau zu reden, Fotos zu machen und überall zu gleicher Zeit mitzumischen, was natürlich in einem sympathischen Chaos ausartet. Aber jetzt kommen unsere Austern und das zweite Glas Champagner und sie kann sich auch setzen. Jetzt ist auch sie angekommen.

Die erste Auster ist die Beste! Sie schmeckt wie ein sonniger Urlaubstag am Meer!
Das ist auch die Stimmung des Abends, der aus einer simplen Idee entstand, ohne einen besonderen Grund Frauen zusammenzubringen, die eine Story zu erzählen haben, aber vor allem auch ohne jeden Anlass Lust auf Austern haben – just like that. Vielleicht werden sie sich verstehen, wieder treffen wollen, vielleicht wächst die Party weiter, vielleicht auch nicht. Es ist für Caro auch ein wichtiger Beweis des eigenen Impacts. Und der Abend gibt ihr recht – es ist egal, mit welchem Background und in welcher Sprache – jede Frau spricht mit jeder, zu zweit, alle zusammen und in kleineren Gruppen am Tisch, über Kunden, die sich wie Musketiere kleiden möchten, einen Traum vom alten Palazzo im Palermo, einer Büttenrede fürs Karneval, über Fotografie, Produktdesign, Architektur, Hunde, Haarpflege, und darüber, wie man eine New Yorkerin unter dem Restaurantvolk erkennt, über Bauhaus in Bukarest, Startups, Berlin, Glück der eigenen Kinder, Liebe und Suizid in der Antike, über das eigene Glück, ein Leben mit einem jüngerem Mann und ein Leben mit einem älteren Mann, und ein Leben ohne Mann, über Stil, ADHS, Bali, Holocaust, Möbel und Wein.

Es ist schön – für alle. Own Your Oyster – Caro – my sister from another mister.
M

Berlin, 11. Februar 2023 / veröffentlicht am 11. Juli 2024