Stadt oder Land? Trubel oder Ruhe? Beton oder Schotter? Mauer oder Zaun? Museum oder Sonnenuntergang? Architektur oder Natur? Palazzo oder Landgut?
In der Stadt fühlen sich Herz, Kopf und Lungen mit Leben, mit Inspirationen und Geschichten, die wir auf dem Land nie finden, obwohl… auch ein Landgut, das ich nicht anders als „Struttura White Lotus“ nennen kann, hatte neulich einen besonderen Nervenkitzel zu bieten…
La Commedia-non-Divina in 4 Akten:
Akt 1: La Sera
Herzlich Willkommen in Florenz. Ihr habt schon online eingecheckt, wie super, wir müssen trotzdem eure Dokumente sehen. Danke sehr! Ausweise. Check in. Gleichzeitig serviert uns jemand Wasser, draußen ist es heiß. Danke für die Aufmerksamkeit, ich bin in dieser Sekunde angekommen. Ah, wir haben noch ein schöneres Zimmer frei, lasst es euch gut gehen, Ihr seid zu dritt, Euer Sohn soll auch bequem schlafen, Ihr hattet sicher eine lange Anreise – und wir betreten ein wunderschönes Maisonette-Studio im Gebäude einer ehemaligen Versicherungsgesellschaft, welches jetzt das Hotel beherbergt. Alles ist nagelneu, modern gehalten und mit Vintage Möbel und Accessoires ausgestattet, die den Charakter des historischen Gebäudes und der Stadt unterstreichen. Hier weiß man sofort, wo man ist, es ist Italien und es ist Florenz und es ist die Gegenwart. THE NEW NOW, wie der Slogan unten an der Bar es treffend beschreibt. Wir frischen uns auf und kommen, vom Zimmer und Ambiente begeistert, runter an die Bar – die leckeren Negroni und Sour-Aperitivo auf der schönen Terrasse machen den ersten Urlaubstag perfekt und Lust auf einen schönen Abend in der heißen Stadt. Die Bar ist 24/7 geöffnet – don’t worry and come back whenever you wish. Wow – Was für ein Service!
Akt 2: The Evening
Hello, ist jemand da? Ein Mann taucht an der Rezeption auf und reibt sich die verschlafenen Augen. Ja, willkommen, Name? Ah so – hier, Ihr Apartment ist gleich nebenan, die number one. Wir betreten ein nagelneu renoviertes und modern eingerichtetes Apartment in einer ehemaligen Scheune. Alles ist sehr puristisch eingerichtet und gut durchdacht, ohne Ecken und Kanten, mit einer guten Klimaanlage, aber die Seele ist irgendwie untergegangen. Am alten Stahl erinnern nur ein Paar Eisenringe, die immer noch an den Wänden und Decke hängen…
Wir frischen uns auf und möchten an den Pool. Die Bar ist jetzt offen, was hätten wir gern? Weiß. Leicht oder schwer? Keine Ahnung – darf ich probieren? Der weiße ist leicht, sommerlich gespritzt wird er heute perfekt sein, wir entscheiden uns für eine Flasche und nehmen unsere Gläser mit an den Pool.
Ich frage noch, ob der Weinshop des Guts später offen hat und höre: nein, wir haben diese Woche keine Zeit dafür, nächste Woche beginnt die Weinlese. Sicher – kann man denn hier etwas kaufen? Nur bedingt, was er dahat, aber viel ist es nicht, da es noch für andere Gäste reichen muss…. Mamma mia, Interesse am Weinverkauf besteht hier wohl nicht…denke ich.
Als wir später nachschenken kommen, hören wir: „Schon wieder da? Sie trinken schnell! Echt jetzt?- denke ich mir – was ist das für ein Typ?? Gäste, die an der Bar an „edlen Tropfen“ nippen, mustern mich von Kopf bis Fuß. Ich heiße Marta, sag ich dem Barmann – Salute! Sobald ich mich umdrehe, höre ich nur „ahhh, strainieri“ keine Ahnung, wer das sagt, ich mache weiter so, als ob ich die Sprache nicht verstehen würde und gehe runter. Kurz darauf kommt der Barmann auf uns zu – er würde schon schließen wollen und ob wir noch etwas bräuchten. Ja, sage ich, wir würden gern noch einen Rotwein probieren.
Statt „don’t worry and come back whenever you wish“ hören wir hier „ I have no bottle open and tomorrow is another day, but I see you are behaving very well so far“ WTF ???? – Was für ein Service!
nota bene: den Wein der Cantina gibt es im Supermarkt den Schotterweg runter ;)
Akt 3: La Mattina
Die Nacht war ruhig und die Betten super bequem, wir haben ohne Frühstück gebucht, wir trinken lieber einen Kaffee an der Bar, heute in der alten Markthalle. Es ist 9:30, in der Halle herrscht buntes Treiben, die ersten Deals des Tages sind vom Tresen, die Fleisch- und Fischstände leeren sich, jetzt ist Zeit für den ersten Kaffee des Tages. Wir bestellen Café und Brioche und kommen gleich ins Gespräch. Der Barmann erklärt uns, dass er noch bis 10:00 die Hände voll zu tun hat, danach kann er sich um den Laden und Bestellungen kümmern, gegen Mittag essen alle an anderen Ständen zu Mittag, danach kommen sie wieder zu ihm, einen Kaffee oder noch ein Glässchen Wein zu genießen. Tagein Tagaus die gleiche Routine, nur am Sonntag ist er nicht hier, da lässt er sich bedienen.
Der Kaffee und das Gespräch machen munter, wir ziehen weiter los, vor der Halle verkaufen Händler Waren aus der ganzen Welt, ein Afrikaner läuft hinter uns her und fragt, ob wir ihn mit nach England nehmen… the new now in den europäischen Großstädten.
Wir schlendern noch eine Weile durch die Stadt, die sich mit immer mehr Sonne, Wärme und Menschen füllt. Zurück im Hotel genießen wir noch einmal das schöne Panorama der Stadt von der Dachterrasse und eine kleine Erfrischung an der Bar und erfahren von der Geschichte des Hotelgebäudes. Wie herrlich – an solchen Tagen fühle ich mich frei und brauche nichts mehr, nach der Siesta kann ich mich wieder ins Stadtgetümmel stürzen, und das jeden Tag wiederholen.
Akt 4: The Morning
Die Nacht war ruhig und die Betten sehr bequem, wir haben mit Frühstück gebucht.
Davor noch eine Runde Jogging – den Hügel rauf und runter, an der Dorfkirche wieder hoch. Kein Mensch weit und breit. Die Kirchenglocken rufen zur Morgenmesse, Italien pur. Auf dem Rückweg kommt uns der Barjunge in seinem Smart entgegen, wir grüßen, er winkt, gibt Gas und hinterlässt uns in einer vom Schotterpiste aufgewirbelten Staubwolke zurück. Zurück im CountryHouse möchten wir erstmal ein Espresso draußen trinken und gehen an die Bar. Der Barjunge reibt sich noch die Augen – wohl wieder zu lange geschlafen. Good Morning – können wir bitte 2 Kaffee haben? No! Ich habe hier viel zu tun und andere warten auch. Sie kommen hier so direkt von der Strasse, das geht nicht. Ahh – ist es ein Problem? Dann kommen nicht verschwitzt und und gut angezogen später… wir starten den zweiten Anlauf, der Kaffeeboy entschuldigt sich. Kein Problem – just keep smiling.
Das Frühstück ist reichhaltig und lecker, die Gäste sitzen an den schönen Tischen mucksmäuschenstill, wie gestern am Pool…. Augenkontakt Fehlanzeige, jeder versucht, an seinem Tisch minimal aufzufallen und sich nur auf Flüstern, Kauen und Jazzmusik aus den Barlautsprechern zu konzentrieren.
Nach dem Frühstück hätte ich gern noch ein Paar Sachen fürs Zimmer – ein zusätzliches Handtuch und Strandtuch für unseren Sohn und einen Tisch draußen, wie an anderen Apartments. Da höre ich wieder: No! Tische sind nicht für alle da, er müsse im Lager nachschauen, und für Handtücher ist er nicht zuständig. Ok, ab jetzt ignorieren und einfach mit anderen sprechen, die sich hier zuständiger fühlen – so wird der Urlaub sicher gelingen.
Die Sonnenuntergänge in den Hügeln sind episch, die Grillen laut, die Luft heiß und der Sternenhimmel endlos. Die Natur braucht keine Menschen, sie ist ein Wunder an sich. Und wir – wir sind trotzdem eindeutig Team Red Lilly: Stadt! Trubel! Beton! Mauer! Museum! Architektur! Und Palazzo!
Marta FF, September 2024