Die Welt am Ende? The world beyond? Der Zerfall unserer Werte auf dem Altar der Ignoranz? Indien Europas ohne die Heiligtümer und Kühe? Planlose Bauweise und Verkehrsführung wie in einem Computerspiel? Müll, Müll, Müll, wohin das Auge reicht? Abgebrannte Autos an Hausruinen? Hundekot und sich türmende Müllberge entlang jeder Landstraße?
Überfüllte Mülltonnen an den Straßenecken? Kaputte Ampeln und Zebrastreifen als Todeszonen? Mafiosi getarnt als Barbesitzer und Anwälte? Demos gegen die Staatsmafia? Rauchendes Küchenpersonal am Hintereingang eines Michelin-Restaurants? Abgewirtschaftete Badeanstalten am Stadtstrand in Mondello, wo Tauben mit Krähen um hinterlassene Essensreste des übergewichtigen Proletariats kämpfen?
Das alles spielt sich hier ab vor einer atemberaubenden, klassischen Kulisse, wie in einer antiken Tragödie. Architektur aus dem goldenen Zeitalter Siziliens! Barocke Kathedralen auf Ruinen von alten Tempeln der Phönizier, altrömische Mosaiken, arabische, französische und spanische Einflüsse in der Architektur und Stadtplanung. Festungen, Monumente und Piazzas als Demonstration der vergangenen Weltherrschaft, mächtige Bauten der Ära Mussolini mit der gleichen Symbolwirkung!
Freundliche und offene Menschen, Ärzte und Künstler, die ihrer Berufung jeden Tag unermüdlich nachgehen! Eine gesunde, abwechslungsreiche, regionale Küche mit einer einmaligen Marktkultur, guten Restaurants und schicken Weinbars mit Live-Acts! Mondäne Straßenzüge gesäumt von herrschaftlichen Häuserreihen im Schatten der Orangenbäume mit Modeboutiquen! Unzählige barocke Kirchen, fantasievolle Lichtgirlanden über den Straßen der Altstadt und einem Opernhaus aus der Paten-Trilogie als nationalem Mythos!
Das alles und sicher noch vieles mehr ist Palermo.
Wir laufen durch die Straßen, die in der sommerlichen Hitze des Pomeriggio aufatmen und aufleben. In den frühen Morgenstunden ist alles einfach nur dreckig – die Autos und die Mofas sind zu laut, die Straßen kleben noch vom Trubel des Vorabends. Keiner kommt in der Nacht, um die Spuren abzuwischen. Plastiktüten, Pappbecher und sonstige Überreste der Nacht fliegen überall chaotisch umher. Die ersten müden Menschen bevölkern die Bushaltestellen, die Rollladen der Cafés und Marktstände werden langsam hochgezogen, die ersten Zigaretten des Tages angezündet. Wasser läuft träge durch die Rinnsale der engen Marktgassen der Altstadt.
Und dann steigt die Sonne hoch und mit ihr die Hitze, der Lärm, die Menschenmengen, und plötzlich vermischt sich alles zu einer Symphonie des Südens – es ist quirlig, hell und warm, es duftet nach Kaffee und Jasmin, wir hören Musik, und hinter jeder Straßenecke gibt es Wunder zu entdecken: Palazzi, eine unglaubliche Ansammlung an barocken Kirchen und Klöstern, die jetzt Konservatorien, Museen und Sterne-Restaurants beherbergen. Die Geschäfte öffnen, die Menschen sind überall, und es ist einfach so wunderschön.
Und dann, wenn die Sonne im Zenit steht, wird es wieder leiser, alles fährt runter, alle verschwinden, die Holzblenden vor den Fenstern werden zugezogen, und die Stadt erstarrt bis zum Sonnenuntergang wie ein heißes Biotop der Hoffnung.
Dann kommt der Abend, und er bringt die Abkühlung und die Gelassenheit zurück. Zeit für eine Passegiata und ein Abendessen an einer hippen Piazza oder in einem guten Restaurant und einem kühlenden Glas Weißwein in einer Jazzbar vor einer barocken Kirche.
Die Welt ist ausgelassen und frei, sogar die russischen Oligarchenfrauen grinsen zu Selfies mit ihren Männern und freuen sich über einfache Lollies, die sie nach dem Begleichen ihrer Rechnung in einem angesagten PizzaLab bekommen.
Die Nacht will nicht enden. Aber der nächste Morgen folgt gnadenlos mit seinen klebrigen Straßen und herumfliegendem Müll.
Palermo – die Perle Siziliens, die uns wie ein vorgehaltener Spiegel tagsüber unsere Ängste und abends unsere Sehnsüchte offenbart – Salve, mi dispiace.
Marta F.F.
Sicilia, Luglio 2024